Dr. Reinhard Prinz – Kulturamt Schwaz:
Beim Betrachten der Arbeiten mag man sich fragen, was Schönheit ist. Ein schöner Körper, ein ästhetisches Ding, reine Sinnlichkeit, sogar die sinnliche Überwältigung bis ins Grauen, wo die Schönheit auf der Ebene bleibt, die keine Wertvorstellungen zulässt, außer jenen, der freien Assoziation. Fast unschuldige Jugend, Erotik oder blanke Brutalität, alles schreit nach Leben. Wie von Gottesanbeterinnen verlockt, wechselt man in die verschwitzte Abwesenheit oder die sinnliche Blumensprache. Abgründe und Flügel, das Gefühl ist überall zu finden, die Assoziationen sind lebendig.
Karin Pernegger – Leitung des Kunstraums Innsbruck:
„Ich male aus Instinkt und ich male aus Leidenschaft
und aus Zorn und Gewaltsamkeit und Trauer
und aus einem gewissen Fetischismus
und aus Freude und gleichzeitig aus Melancholie
und besonders aus Wut.“
Carol Rama, 19961
Das Zitat stammt von der italienischen Künstlerin Carol Rama (*1918), die mit ihren Tabu brechenden Arbeiten den fragmentierten, verletzlichen Frauenkörper sexuellen Szenarien gegenüber stellte und die Themen der feministischen Körperkunst der 1960er und 1970er Jahre schon in ihrem Frühwerk ab 1938 vorwegnahm. Der nackte, weibliche Körper – aufgeladen durch seine emotionale und psychische Verfassung – ist auch zentraler Ausgangspunkt der Bilder von Susanne Kircher-Liner. Mit pastosem Pinselstrich gibt sie dem fragilen, vermeintlich schutzlosen Körper raumgreifende Präsenz. Sie verbindet die Bilder zu einem Dialog zwischen Lust und Leiden, zwischen Begehren und Resignation. Entsprechend dem Ausstellungs- und Katalogtitel „Wo die Haut am dünnsten ist“ gibt die Künstlerin einen intimen Einblick in ihre zuletzt entstandenen Werke, die mit ungebrochener Intensität auf den „Kampf der Geschlechter“ eingehen. Der Körper in Kircher-Liners Bilder ist so nackt, wie wir nackt zur Welt kommen. Die Haut ist das verletzlichste und gleichzeitig das stärkste Organ, das wir besitzen, da es sprichwörtlich Muskelgewebe und Skelett umspannt und zusammenhält. Der Mensch benötigt von Geburt an Hautkontakt, so ist es z.B. für das Neugeborene notwendig, die Brust der Mutter beim Stillen zu berühren. Die Haut ist aufgeladen durch unsere persönliche Geschichte und spiegelt unser eingebunden sein in die Gesellschaft. Hierin zitiert die Künstlerin die Malweise der Britin Jenny Saville (*1970), deren nackte Frauenkörper noch verletzlicher wirken, als die pastos gemalten Protagonistinnen der Bilder Lucian Freuds (*1922), aber durch ihre körperliche Fülle an Dominanz gewinnen. Auch Susanne Kircher-Liner löst die Konditionen der Schönheit auf, ohne sich dem Hässlichen zu ergeben, sondern sie schält die Unschuld des Körpers roh aus dem Malgrund heraus. Die Fragmentierung des Körpers erfahren wir auch in den Bildräumen in den Malereien von Cecily Brown (*1969). Der Farbraum scheint fast auf uns einzustürzen, und der Körper löst sich mit einem wagen Schmerzensschrei aus seiner Verankerung.
Die Arbeiten von Susanne Kircher-Liner brechen mit der Unschuld und gehen in Konfrontation mit dem Betrachter. Sich ihnen zu entziehen, ist kaum möglich. Die Malerei erfährt ein Konzept der Interaktion geleitet von Emanzipation und Unterwerfung. In sich ruhend und trotzdem fragend blickt uns „Lilly“ an. Noch bevor wir den kindlichen Körper in seiner schutzlosen und nackten Haltung erfassen, sind wir gebannt von den Augen, die uns kraftvoll anblicken. Um so mehr berührt das Bild den Betrachter, da es unsere ureigensten Ängste vor Verletzung, Schutzlosigkeit und Tod zitiert. Im Gegensatz dazu ist das Bild „Lilie“ aufgeladen mit der Metapher der Femme Fatale, der verführerischen Frau, die mit ihrem exzessiven Leben und betörenden Wesen ihren Partner oft ins Verderben reißt. Sie sitzt aufrecht, mit geöffnetem Schoß dem Betrachter gegenüber, und das blaue Mondlicht legt sich Unheil bringend über ihre nackte Haut. Die sexuelle Spannung steigert sich mit dem Bild „Küss mich“, das die Vulva der Frau zentral in die Bildkomposition einbindet. Der Vergleich zum französischen Künstler Gustave Courbet (1819-1877), der im Jahr 1866 für einen ägyptischen Sammler das Bild „Lórigine du monde“ malte, liegt nahe. Jedoch zeigt Kircher-Liner den Schoß nicht in einer passiven Körperhaltung, sonder sie spannt den rechten Fuß kraftvoll als schützende, wie auch verführerische Diagonale im Bild ein. Denn es bleibt dem Betrachter offen, was er zu küssen sich aufgefordert fühlt.
Susanne Kircher-Liner setzt essenzielle Körpererfahrungen in eine einnehmende Bildsprache um. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche, den nackten Körper. Das Selbstporträt folgt nicht dem Zweck der Selbstdarstellung, sondern wird zum sensiblen Medium, jene intimen Erfahrungen im Bild umzusetzen. Aus dem Moment des Schmerzes, des Zurück-gelassen-Seins, der Verzweiflung, aber auch der Dominanz und Kraft, entwickelt sich der Körper bei Susanne Kircher-Liner zu einem Fantasiewesen, das – wie die letzten Bilder zeigen – mit der Natur in seiner Nacktheit zu einer Urform verschmilzt.
1 Carol Rama im Gespräch mit Ivana Mulatero und Lisa Parola, 1996. Aus: Luigina Tozzato und Claudio Zambianchi (Hg.)
Edoardo Sanguineti – Carol Rama, Franco Masoero Edizioni d´Arte, Turin 2002, S.166
Der Exhibitionismus einer Dünnhäutigen
Die heftigen Innenbilder der Silbersommer-Künstlerin Susanne Kircher-Liner in der Stadtgalerie Schwaz.
Von Edith Schlocker
Schwaz – Bereits 2005 war Susanne Kircher-Liner Schwazer Silbersommer-Künstlerin. Damals eine große Ehre für die malende Autodidaktin, in der Sachs-Volksschule ihre Arbeiten zeigen zu dürfen. Heuer ist die Stadtgalerie Schwaz die weitaus exklusivere Bühne für die neuesten Arbeiten der 34-jährigen Künstlerin, die sich in diesen fünf Jahren zu einer bemerkenswerten Malerin gemausert hat.
Sinnlich aufgeladene, in farbig opulenter Üppigkeit zelebrierte Großformate. Die Frau ist ihr Thema, nackt in die Welt geworfen, oft deformiert, gedemütigt, ausgesetzt. Mit Titeln wie „Ich lieb dich zu Tode“ oder „Komm, ich fress‘ dich mit Haut und Haar“. Ja, ihre Bilder hätten schon sehr viel mit ihr zu tun, mit den dunklen Seiten ihrer vordergründig so heilen Existenz, sagt die zweifache Mutter.
Im Akt des Malens entlade sie sehr spontan die in ihrem Inneren aufgestauten Emotionen auf die Leinwand. „Malerei ist für mich so etwas wie Tanz“, sagt Susanne Kircher-Liner, die „eigentlich immer gemalt“ hat. „Entdeckt“ wurde sie vor zwei Jahren von Martin Gostner, Tiroler Künstler und Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, der die Schwazerin als Gaststudentin in seine Klasse holte.
Diese drei Semester in Düsseldorf haben Kircher-Liner darin bestärkt, ihren Weg einer expressiven, von Emotionen dominierten Malerei weiterzugehen. Die dominiert ist von einer vielschichtigen, oft in einer abstrakten, in delikaten Nuancen variierten Farbigkeit. Schonungslos sich selbst gegenüber macht die Künstlerin ihren eigenen nackten Körper, ihr Gesicht, ihr Geschlecht zum Thema ihrer Bilder, die voll sind mit einer vielleicht zu offensichtlich sexuell aufgeladenen Metaphorik aus der Pflanzenwelt.
„Wo die Haut am dünnsten ist“ nennt Susanne Kircher-Liner ihre Schau in der Stadtgalerie Schwaz. Die schön zeigt, dass sich in ihrer Kunst in den vergangenen Jahren sehr viel getan hat. Weg von formal bisweilen an den Grenzen zum Kitsch wandelnden Bildern hin zu malerisch höchst delikaten. Zu komplex verdichteten Innenschauen, die in ihrer hyperästhetisch zelebrierten Brutalität weit davon entfernt sind, einen männlichen Voyeurismus zu bedienen.
Tiroler Tageszeitung, Printausgabe vom Di, 15.06.2010